Abschied
6.30 Uhr. Ich kann nicht mehr schlafen. Die Heizung macht Lärm, ein Ferneher kreischt irgendwo und die Straße ist in Sachen Lärmerzeugung auch nicht rücksichtsvoller. Warum habe ich das nicht eher bemerkt? Eins der beeindruckensten menschlichen Wahrnehmungsphänomene ist das der Gewöhnung. Der Blick aus dem Fensterspalt in den Morgen ist, trotz der 30cm Durchsichthöhe, wie bisher jeden Morgen hier dann aber doch wieder GIGANTISCH. Duschen, Koffer packen, Frühstückskarte für das 3 Decker abholen. Bisher nahm ich meist den Tisch im hinteren Teil am Fenster, allein. Heute sitze ich am wie gestern am Tresen, nicht allein.. Ich nehme wie immer das Unvermeidliche, setzte die kleine Tastatur und den PDA zusammen und beginne den Tasten die Erlebnisse des Vortages aufzudrücken, die ich noch nicht eingeschrieben hatte. Der Mann, zwei Sitze weiter, fragt mich, ob das ein Sony Clie sei. Ich bejahe.
Er fragt, wo ich her komme. Ich sage es und er fragt ob die Dinge jetzt gut seien mit Ost und West. Eine Frau setzt sich zu uns. Ungefähr 45 , korpulent ist sie, sieht sehr gemütlich aus und trägt Ethno-Ohrringe. Sie klingt sich sofort in die gerade erst begonnene Konversation ein und fragt, ob der Akzent in Hamburg dem in Berlin gleiche. Ich erkläre, dass es im Gegensatz zum südlichen Teil kaum Unterschiede gäbe. Darauf erzählt sie, dass ihre Mutter aus Hamburg stamme und nie richtig englisch gelernt habe. Außerdem spräche Sie mit dieser speziellen Aussprache. Ich wechsele das Thema und erkläre, dass mir schiene einiges begriffen zu haben, was Amerika so ist. Und dann die totsichere "Dazu sagt jeder was." Themenkeule. Eins aber nicht, nämlich wie die Leute George W. haben wählen können. Beide lachen herzlich, dann sagt der Mann, dass das niemand verstehen könne und:"The people got there Chance." Der Mann geht nachdem wir uns freundlich verabschiedet haben und er mir einen guten Flug gewünscht hat. Die Frau und ich unterhalten uns weiter über NY und sie erzählt, dass sie vorher in Los Angeles gelebt habe , vor vier Jahren hierher gezogen ist und New York mit LA nicht zu vergleichen sei. So schwärmen wir beide noch ein bisschen von Dicken Apfel. Ich sage, dass mir die Tolleranz in Bezug auf die Kleidung und Gebaren der Leute hier gefiele. So nähme offensichtlich niemand Anstoß daran wenn Leute im November mit FlipFlops durch die Strassen zu gehen. Sie lacht zeigt ihre wild-farbig-gepunkteten Schlabberhosen und meint, dass ihre Sandalen zwar keine Flipflops seien, aber nah dran. Dann spricht sie davon, dass in NY viele wirklich schöne Menschen zu sehen seien ohne das man sich selbst diskriminiert fühlen müsste. Es sei eben ein ganz besonderer Mix an Leuten. Irgendwie komme ich auf Michael Moore, doch sie weiß erst wen ich meine, als ich die "Shame on you Mr. Bush"-Story während der Oskarverleihung erzähle. Ich empfehle ihr, sich die Filme von ihm anzuschauen. Sie meint, sie müsse gehen und :"It was a very nice talk and come back soon. " Wir schütteln uns die Hände."I'm Loretta, I'm Jan, nice to meet You. Nice to meet You." Im YMCA darf ich meinen Koffer lassen. Auf zum Guggenheim heißt die Devise und vorher nochmal schnell in die Canal Street, Reiki weiss warum.
Das Guggenheim ist wirklich etwas in die Jahre gekommen. Die derzeitige Attraktion, die Azteken. Man kann die Rotunde hinauflaufen und sich dabei die Ausstellung anschauen. Es ist wirklich ein doppeltes Vergnügen. Ich habe allerdings den Hinweis falsch gelesen und als ich versuche ein Foto zu machen werde ich sehr bestimmt gebeten damit aufzuhören. Die Azteken interessieeren mich nicht sehr. Die ständigen Ausstellungen moderner Malerei sind mein Ziel. Vor allem die Kandinskyausstellung zeigt sehr anschaulich die Entwicklungs seines Malstils. Na kein Wunder, die Guggenheims haben ja fast alles aufgekauft.
Nach zwei Stunden Guggenheim gehe ich wieder in den Central Park und lande am Jackie Kennedy Onassis Water Reservoir. Es ist genau wie im Film der Marathonmann, als Dustin Hoffmann an diesem großen See entlangläuft. Während ich am Geländer entlangschlendere werde ich häufig von Joggern passiert. Tasächlich finde ich das Servicegebäude in dem, wie ich glaube, der Showdown zwischen Dustin Hoffmann und dem Bösen stattgefunden hat. Ich lasse mir zum ersten mal bei meinen Schattenbildern helfen. Die Frau findet es lustig, was ich da mache und hilft mir gern. Es ist 15.30 Uhr. Bis jetzt habe ich jeden Tag das Empire State Building verpasst. Diesmal nicht. Also in den Subway. Autsch, nicht aufgepasst und in den Expresstrain gestiegen und voll an der 34en Strasse vorbeigerauscht. Also mit dem Localtrain, der dann überall hält wieder zurück. Es beginnt ein Wettlaluf gegen die Sonnenuntergangsuhr.
Habe ich Pech, wollen viele Leute das Schauspiel sehen und ich verpasse ihn den legendären Sonnenuntergang. Ich habe Glück. Es ist zwar eine erklägliche Schlange an den Ticketschaltern, doch es geht relativ schnell. Das halbe erste Untergeschoß ist als Wartebreich ausgebaut. Dann erst in den 80en Stock und nochmal mit einem anderem Lift die letzten 6 Stockwerke. Ein Giftshop in der Mitte noch warm. Die Aussichtsplattform. Echt kalt. Aber das Frieren ist ein geringer Preis für den hier gebotenen Ausblick. Da das Empire State inmitten der Straßenschluchten steht, ist alles sehr nah und doch von oben irre klein. Der Wind ist heftig und ich habe ein bisschen Angst um Vaters Fotoapparat. Man möchte prermanent fotografieren doch ich entscheide mich auch fürs genießen. Erst stelle ich die Videokamera so auf dass man die Schatten das Crysler Building hinaufkrichen sieht. Dann baue ich um und bekomme einen genialen Platz an der Westseite. Er ist in der Nähe der Giftshoptür, so dass, ab und zu, ein Schwall warmer Luft das Stehen draußen erträglicher macht. Ich richte die Kamera ein und versuche sie mit meinem Rucksack zu fixieren. Leute die den Platz auch nutzen wollen bitte ich wegen meines "long time shot" Rücksicht zu nehmen.
Alle haben Verständnis, bis auf ein jugendliches Pärchen aus Rußland, die zwar "Yes, yes." sagen aber nix verstehen und natürlich an die Kamera rammeln. Der grandiose Sonnenuntergang macht es mir leicht, mich über den kleinen Wackler nicht zu ärgern. Der Horizont in Richtung Newark glüht wie im Bilderbuch. Während das Sonnenlicht langsam verlischt, glimmen immer mehr Lichter in den Strassen und den anderen Sky Scrapern auf. Es ist atemberaubend. Wenn es nicht so saukalt wäre. Aber ich halte durch. So einen Sonnenuntergang sieht man wirklich nicht alle Tage. Dann sind die Batterien der Videokamera alle, ich bin durchgefroren und es ist nur noch ein ganz dünner Streifen rot am Horizont. Dafür ist aber die Stadt wieder hell erlauchtet.
Sehr zufrieden steige ich in den Subway, um mein Gepäck aus dem YMCA zu holen. In der Bahn beobachte ich einen Schwarzen mit Rasterlocken der sich mit einer attraktiven Schwarzen unterhält. Sie steigt aus und er schaut ihr bewundernd und zugleich zufrieden hinterher. Er bemerkt meinen Blick. Dann führt er seine Hand zur Brust, tippt sie kurz an, hebt den Daumen in meine Richtung und grinst zwinkernd zu mir herüber. Ich grinse zurück, wir haben verstanden. Sowas ist mir in Berlin noch nie passiert. Später nach dem Umsteigen geht er nochmal an mir vorbei und sagt etwas in der Richtung: "What´s up man!" Meine Sachen sind im Hotel und ich gehe vorher noch etwas essen. Das Lokal heißt Sokrates hat aber mit Griechisch nichts zu tun. Der Service sagt der Fisch sei frisch und so bestelle ich Lachs. Nachdem Essen werde ich gefragt wo ich herkomme. Der Mann neben mir sagt, dass Berlin auch eine große Stadt sei. Ich sage, dass im Vergleich zu NY das nicht stimme und Berlin in dieser Beziehung eine eher kleine Stadt sei. Nach ein bisschen Rassenmix und Zusammenleben kommt das Thema auf Irak. Er kritisiert meine Position gegen den Krieg. Allerdings weiß er auf Nachfrage aber auch nichts von den auf Lügen aufgebauten Invasionsgründen. Er grinst mich geheimnisvoll an und meint, er wisse ja nicht von wem diese Behaubtungen kämen. Bevor wir noch weiterdiskutieren können sage ich, dass ich heute Abend noch weg müsse und wenn ich jetzt nicht ginge, ich mein Flugzeug nicht mehr erreichen würde. Sehr freundlich verabschieden wir uns. A-Train zum Kennedy Airport. Bevor ich falsch fahren kann, die Linie teilt sich vor dem Airport, spricht mich eine Frau an und sagt mir ich müsse mit dem nachfogenden A-Train fahren. Ich bin der Unbekannten heute noch dankbar. Ohne sie hätte ich meinen Flug ganz sicher verpasst. Mit Wehmut erwarte ich meine letzte "Amtshandlung in New York". Nach dem Durchqueren der nun vertrauten Subwayschranken sehe ich mich um. Da kommt es. Ein Pärchen. Er Rusterlocken, sie langes offenes Haar, beide Rucksack. "Would you like to have a Metro Card available til Sunday?" Sie schauen erst etwas irritiert, doch dann begreifen sie, greifen zu, bedanken sich und gehen zum Subway. Die geschenkte Karte vom ersten Tag hat nicht gereicht und so kaufte ich auch wieder eine Wochenkarte, die nun den nächsten ein paar Tage hilft. "Enjoy the city": rufe ich ihnen hinterher. Der Terminal ist leer, kein Anstehen, freie Check-in-Schalter- und Security-Gate-Wahl. Zehn Minuten später Boarding, zwölf Stunden später Tegel. Sabine holt mich ab. Erst hat sie einen Blumenstrauß in den Armen, dann ich und dann ich sie.