Marathon
Der Tag fängt gut an. Nach dem Duschen schaue ich durch das geöffnete Fenster. Scheinbar ist die komplette Mannschaft des gegenüberliegenden NYPD Reviers angetreten. Oops. Die Straße ist gesperrt und offensichtlich der Chef erklärt den Cops was der Tag bringt. Den berühmten New York Marathon und ich hatte keine Ahnung. Die Sonne steht schön und ich gehe noch ein Paar von meinen Schattenbildern schießen. Eine Laterne scheint geeignet. Ich steige auf ihren Sockel. Knips. Lachen.
Zwei Typen ein Weißer und ein Schwarzer an einem Servicetruck der Verizon Communications Company. Ich gehe hinüber und zeige ihnen das Foto. "Hey, that´s nice. Are you a fotographer? No." Nachdem ich Beiden erklärt habe, warum ich diese Fotos mache, stelle ich mich vor. Der Weiße heißt Bill und der Schwarze Kevin. Dann meint Bill er hätte ein echt hartes Foto für mich. An der Windschutzscheibe klebt Blut und ist am Kotflügel runtergetropft. Da ist gestern einer dagegengelaufen meint Bill. Der Typ habe Glück gehabt und nur eine Platzwunde davongetragen. Ich fotografiere natürlich nicht. "Have nice day." sage ich, "Enjoy the city.", schallt es zurück. Und schon ist ein typischer, unverbindlicher und sehr netter NYer Small Talk vorbei.
Aus dem nur mal Marathonschnuppern wird eine drei Stunden Wanderveranstaltung. Es ist einfach sehr ansteckend sich das Happening anzutun. Ich beginne an der 12. Meile, 200m vom YMCA entfernt. Eine Band spielt mitreißend und ansteckend, auch wenn deren Beschallung ordentlich übersteuert. Rollstuhlfahrer kommen vorbei. Einige eskortiert von Helfern in blauen T-Shirts. Ich laufe den Läufern entgegen. Eine Ecke weiter kommen mir die führenden Frauen entgegen. Und noch ein Ecke weiter sorgt eine Capoeiratruppe für Kultur an der Strecke. Ich gehe weiter in Richtung Wiliamsburgh, dem jüdischen Viertel. In Wiliamsburgh angekommen fließt schon ein dichter Läuferstrom durch dieses wirklich schöne Viertel. Überall stehen orthodoxe Juden an der Straße. Selten sind sie mit Frauen und Kindern zu sehen. Die Frauen tragen auch Mäntel in gedeckten Farben und Kopfbedeckungen die denen der Frauen in den 30ern und 40ern ähneln. Ich telefoniere mit Gerti. Doch vorher kaufe ich in einem jüdischem Supermarkt, bei einem weißhaarigen Händler, der einer Isaac Bashewis Singer-Geschichte entstiegen sein könnte, eine Telefonkarte. Irgendwie traue ich mich nicht zusagen, dass ich sie zum Telefonieren nach Deutschland benötige. Deswegen spreche ich nur von "Europe". Er sieht auf die Karte und sagt:"This is available for Spain, France and also for Germany." Diese Karte hilft mir mit Gerti zu telefonieren. Ich gehe tiefer nach Brooklyn hinein und komme in eine schwarze Gegend. Hier wird es wieder lebhafter obwohl nur noch solche Leute laufen, die wohl nur gehend ankommen werden. Mal schallt es aus einem Haus, mal ist vor dem Haus eine Beschallungsanlage aufgebaut, mal sitzt man mit Bongos an der Strasse Hauptsache es geht die Post ab. Es scheint der Begeisterung keinen Abbruch zu tun, dass nur Minuten später der Sammelbus kommt, das Schlusslicht des Marathons.
An der nächsten Ecke ein Subway. Ich möchte eigentlich heute aufs Empire State Building, aber es ist noch zu früh. Ich nehme den W-Train nach Cooney Island und bin einmal umsteigen später am Atlantik. Das erste was man sieht ist ein geschlossener Vergnügungspark. Mit den heruntergelassenen, verriegelten Rollläden. So still und verlassen hat der Park richtig was. Verstärkt wird der Eindruck durch den Küstenwinde der durch die Maschendrahtzäune und Verspannungen pfeift.

Die Strandpromenade. An einer Strandkneipe spielt eine Band für Tip, also für Trinkgeld, wie der Sänger ins Volk ruft. Daneben dann das, was ich als Klischee erster Klasse eingeordne. "Shoot him, he don`t shoot back", und, "real human Target". Tatsächlich kann man bei dem italienisch aussehenden Blödmann 5 Paintballs für 3 Dollar abschießen. Der Latino, der das menschliche Ziel abgibt steht in einer Kluft wie ein Eishockeytorwart ohne Knieschützer da und raucht. Es ist eine Lücke zwischen zwei Buden in der das "Spielfeld" aufgebaut ist. Um den "Spass" zu steigern sind "Verstecke" aufgebaut.
Zur Ehrenrettung. Keiner ist während ich da war schießen gegangen. Und so dick ist der Dollarscheinpacken, den der rührige Geschäftsmann in der Hand hatte, nun auch wieder nicht.

An die schöne breite Uferpromenade schließt sich ein gut 100 Meter breiter Strand an. Ich genieße die sanften, zumindest heute wirklich sanften Wellen des Atlantik. Auch eine schöne lange Landungsbrücke rundet das Bild eines wunderbaren Strandes ab.

Als ich von der Strandpromenade aus mit Bine telefoniere werde ich an der Hand vom shit einer auf der Laterne nebenan sitzenden Möwe getroffen und muss das ... dann im Atlantik abspülen. Die Rückfahrt ist in der untergehenden Sonne. Außerdem bestätigt sich, diesmal sogar dreifach, was ich schon vorher bemerkt habe. NYinnen schminken sich im subway. Für das Empire State ist es heute auch wieder zu spät. Außerdem sind von dem Marathon auch die Batterien der Videokamera alle. Während sie sich im YMCA erholen, will ich nach Soho.
In der Bahn spielen plötzlich drei Schwarze mit Bongos einen mitreißenden Beat. L-Train zwischen Bedford und 3th ave. Ich nehme den falschen Zug. Es ist der Expresszug. Statt an der Canal Street zu halten, rauscht er durch bis zur Brooklyn Bridge. In der Mitte der Brücke ein Fußweg. Er ist mit Latten belegt und im Mittelteil stehen Bänke. Direkt den Eastriver hinauf sieht man die anderen beiden Riesenbrücken Manhattan Bridge und Williamsburgh Bridge. Leider ist es für elektronische Aufnahmen etwas zu dunkel. Ich versuche es dennoch. Die Brücke vibriert permanent unter mir. Trotz des ständigen Verkehrs sind dank des Seewindes in der Luft nur wenig Abgase zu merken.

Ich setze mich auf die Brüstung zur Fahrbahn hin und genieße, genieße, genieße. Es bleibt dabei. Diese Stadt ist einfach irre. Nach der Rückfahrt habe ich Hunger und gehe in der Lorimer Street 200m vor dem YMCA in einen kleinen Tai. Für 14 Dollar kann man sich hier sattessen. Der Kellner kommt zu mir und fragt mich ob ich ein Writer sei da ich mit meinem Clie und der kleinen Tastatur so vor mich hintippe. Es sein nur für meine Familie zu Haus erkläre ich. Ich erzähle ihm dass mich erstaune, dass man jederzeit in NY einen kleinen small talk haben könne. Oh, meint er, seiner Ansicht nach sei das erst seit dem 11.September so. Und dann erzählt er von dem großen Stromausfall und das sie während alles dunkel war, zum ersten mal mit ihren Nachbarn gesprochen hätten. Plötzlich klingelt wieder das Telefon. Das Tairestaurant erledigt offensichtlich viele Bestellungen mit Hauslieferung. Charly muss los und nach dem Essen ist auch mein Tag vorbei. Ich bin einfach nur erledigt.