THE VERY END

In Bezug auf China taucht in meinem Kopf und meinem Vokabular in den letzten Tagen oft die Wortgruppe: Das letze Mal, auf.
Umgezogen bin ich ja schon oft, doch nie unter solchen Umständen. Mit einem Rechner und zwei Koffern bin ich hier in Peking angekommen. Es werden wohl 7 Kubikmeter Gepäck werden, mit denen ich wieder zurückkehre. In diesen fast 4 Jahren ist eine Menge zusammengekommen. Das ganze Wochenende habe ich gebraucht, um zusammenzupacken und auszusortieren. Viel des Wegwerfens würdiges, konnte ich nicht finden. Verdammte Gefühlsduselei. Am Ende hängt man an jeder blöden CD und jedem TShirt.

Gestern das letzte Mal Volleyball. In der Deutschen Schule habe ich gute Freunde gefunden und nach 25 Jahren das erste Mal wieder regelmäßig Volleyball gespielt.

Erst finden sich alle zögerlich zum Gruppenfoto zusammen, doch dann möchte es doch jeder haben.

China ist Ende 2010 noch ein Land, in dem man zu zweit (Chris verlässt China auch und wir teilen uns die Feier) mit jeweils umgerechnet 55 Euro einen ganzen Haufen Leute zur Sünde der Völlerei verführen kann. Dieser Nebenraum, im kleinen Jaudzi (Teigtaschen) Restaurant, nicht weit von der Schule entfernt, war oft nach dem Volleyball dem Schlemmern nach dem Sport geweiht.

Allerdings sind die Restaurants, wo die Speisung der 5000 mit qualitativ hochwertigem Essen zu diesen Preisen noch möglich ist, in den letzten Jahren deutlich weniger geworden. Die Tendenz hält an.

Letzte Woche haben wir das Studio spontan in einen Abschiedsfeierpartyraum umfunktioniert. Chin Chin hat gekocht, Andreas und Jennie Salat gemacht, Heiko drei gute Flaschen Roten besorgt und überhaupt jeder etwas leckeres beigesteuert.
Ich habe meine erste Abschiedsrede in englisch geschwungen. Einerseits wegen Chin Chin und Liu Jia, andererseits, weil diese Fähigkeit neben den vielen Erfahrungen hier, meine eindeutig größte Errungenschaft der Pekinger Zeit ist.

Ich bin mir unsicher, ob ich Sabine von den 46 Umzugskartons erzählen soll, die gerade aus dem Appartement geschafft werden. In nicht ganz drei Stunden sind alle Sachen in professionelle Umzugskartons umgepackt worden und nun auf dem Schiffsweg nach Deutschland. Nun ja, wir haben wenigstens noch zwei Monate Zeit uns auf die Materialschwemme vorzubereiten.

Ach ja, Tigger. Er fand sich in meiner ersten Pekinger Wohnung hinter einer Gardine. Er tat mir leid und hängt seither für alle sichtbar und für ihn mit gutem Überblick am Fenster. Natürlich soll er auch die Chance bekommen Berlin zu sehen. Allerdings werde ich ihn wohl waschen müssen.

15.12.

Der letzte Schnitt. Es geht um Baumkuchen für das Mittagsmagazin. Baumkuchen heißt in Japan erstaunlicher Weise auch Baumkuchen. In China hieße er wahrscheinlich "Kuchen aus dem Teig der Jahresringe formt". Dieses Idiom für das deutsche Wort Baumkuchen ist wahrscheinlich falsch aber ebenso wahrscheinlich richtig. Nun habe ich gerade im Wikipedia nachgeschaut und gefunden, dass es idiomatische Redewendung heißen muss, statt Idiom. Warum komme ich darauf?
Wir, Franc und ich, haben gerade im Paulaner gesessen und als wir uns über chinesische Sprache und deren Besonderheiten unterhielten, kam die Rede auf die idiomatische chinesische Redewendung für das deutsche: "Ein Exempel statuieren". Während ich an anderer Stelle in diesem Tagebuch davon geschrieben habe: "Einen Affen töten um die Schafe zu erschrecken." stellt sich in Francs Wörterbuch heraus: "Ein Huhn vor den Augen eines Affen töten."
Na toll. Wer recht hat ist mir egal. Denn beide Varianten helfen dem in der Idiomatic der chinesischen Sprache Uneingeweihten nicht weiter.
Dann wird Franc, der an der Deutschen Botschaftsschule in Peking arbeitet, von einem Vater eines seiner Schulkinder entdeckt. Er arbeitet bei M-Benz und kommt sofort an unseren Tisch. Seinen Namen verstehe ich bei dem Lärm nicht. Es ist am Ende auch besser so. Er zeigt mir stolz seinen Paulaner Bierkrug. Für einen Jahresbeitrag von, hab ich nicht verstanden, könne er überall auf der Welt in einem Paulaner einen halben Liter trinken und hätte dann den nächsten Ganzen frei. "Na toll", denke ich und versuche die freundliche Fassade zu erhalten. Er meint ich würde wohl nicht feiern können und er, Baujahr ´60, hätte ohnehin die guten Zeiten noch erlebt. Er wäre sogar in der Lage, bei guter Stimmung, allein auf der Tanzfläche Luftgitarre zu spielen.
Ich bin froh, dass ich seinen Namen nicht verstanden habe und finde ihn unglaublich hohl und aufdringlich. Da wir Beide ihm nicht das richtige Publikum für seine Selbstdarstellung bieten, zieht er wieder ab. Danke.
Bin gestern ins Hotel umgezogen. Kempinski Beijing. Letzte Nacht war trotz abgeschalteter Aircondition ein störendes Geräusch zu hören. Ich war zu müde und habe es erst am Morgen moniert. Jetzt, es ist 30 Minuten vor Mitternacht. An der Rezeption frage ich, ob das Geräusch beseitigt wurde. Man weiß von nichts. Ich gehe auf das Zimmer. Das Geräusch ist noch da. Man gibt mir ein neues Zimmer und fragt ob ich den Umzug selber bewerktstelligen würde. "Ich denke schon, die Concierge sollte helfen, sage ich. Na toll. Als ich das Zimmer auf der der Straße zugewendeten Seite des Hotels beziehe, stellt sich heraus, dass in einer angrenzenden Baustelle offensichtlich noch pressluftgehämmert wird.
Das ist China. Man hat ein technisches Problem und ist freundlich darauf aufmerksam gemacht worden. Anstatt sich zu entschuldigen und, im Wissen um die Thematik, eine entspannende Lösung zu finden, gibt man mir ein Zimmer mit funktionierender, geräuschfreier Aircondition, aber lärmender Baustelle. Das ist mal eine spannende Variante von aufmerksam und rücksichtsvoll.

16.2.

Toby und ich wollen zum Teehaus am Konfuziustempel. Ich mich verabschieden und er kennenlernen. Aber es klappt nicht. Er bekommt sein Visum und ich hab einfach noch zu viel zu tun. Am Abend bin ich mit Marc verabredet. Das Weihnachtskonzert an der deutschen Schule geht länger als erwartet. Noch einige Verabschiedungen und ein Gespräch mit einem mir bis dahin unbekannten, aber sehr netten Pärchen über die Frage: Warum Lang Lang als Pianist zwar technisch nahezu perfekt spielen kann, aber dennoch, steinreich, ein armes Schwein ist. Als wir endlich um 10.00 Uhr Marcs Tochter ins Bett bringen fahren, bleiben wir dann doch bei ihm zu Hause. Es wird ein schönes, sehr intensives und privates Gespräch. Ich genieße es. 3.00 Uhr fahre ich zurück ins Hotel.

17.2.

8.30 Uhr. Ich will weg. Ich spüre den Schlafentzug, aber ich bin mental nicht müde. Gestern rief Mike an. Wir waren für einen der letzten Tage eigentlich zum Abendessen bei ihm zu Hause verabredet. Seine Frau hätte mir Jauzhi machen beigebracht. Leider hat es nicht sein sollen. Mikes Mutter ist im Krankenhaus und versucht von einer Hirnblutung zu genesen. Mike und dessen Schwester teilen sich nun die Tagesbetreuung der Mutter. Mike, mit dem mich doch einige schöne Fahrten zur Chinesischen Mauer verbinden und dem ich so manchen Fahrgast organisiert habe, rief also an und bot an mich zum Flughafen zu bringen. Keine Chance der Ablehnung. Er bestand einfach darauf. Er holt mich vom Hotel ab und hat natürlich etwas für mich mitgebracht. Später im Flughafen werde ich die vier Flaschen Baizhou Schnapps leider wegwerfen müssen.

Mein Koffer ist einfach schon jetzt zu schwer und im Handgepäck sind die Flaschen verboten. Gott sei Dank habe ich einen Stollen und eine Packung Schokoherzen als Geschenk aufgehoben. Ich erkläre ihm die traditionelle Funktion dieser Gebäcke für die Weihnachtszeit und er freut sich. Mike ist der letzte von vielen liebgewordenen Menschen, von denen ich mich in den letzten Tagen verabschieden konnte.
Besser hätte mein Abschied von Peking nicht laufen können und noch etwas ist ein wenig besonders. Über Peking spannt sich ein fast wirklich blauer Himmel.

Als ich den Immigration-Schalter hinter mich bringe ist es dann doch nur ein laut vernehmbares: "Good bye China", anstelle eines Befreiungsschreies. Aber es ist richtig so.