05.12.

Der große Tag. Seit 28 Jahren singen sie hier in Osaka die "Ode an die Freude".

In Deutsch, alle Worte. Genau wie Schiller, jetzt weiß ich es wieder, sie niederschrieb. Sicher kritisch hingehört ist mehr ein "Götterfünken" oder ein "Wer ein holdes Weib gefünden" aber wen bitte schön stört es. Niemanden. Es sind 10000 wunderbar entrückte, sich selbst und ihr gemeinsames Musizieren einfach nur selig genießende, Menschen.

Was für eine Ode an die Freude. Beethoven und Schiller hätten die ihre wahrlich daran gehabt. "Alle Menschen werden Brüder", naja und Schwestern, wird hier in Osakas Mehrzweckhalle für die Dauer einer Synphonie Wirklichkeit.

Warum singen sie die Ode an die Freude hier in Osaka in dieser Weise?
Vor 28 Jahren sollte die Halle eingeweiht werden. Der CEO des Hauptsponsors, Santori Whiskey, und der Bürgermeister von Osaka saßen zusammen und über legten. Nun ist es seit den Zwanzigern des 20ten Jahrhunderts Sitte die Ode an die Freude in ganz Japan zu spielen. Gedacht als Möglichkeit den notorisch unterbezahlten Berufsmusikern für klassische Musik ein kleines Schmankerl fürs Ohr und fürs Portemonai zu bereiten.

Allerdings sollte es in Osaka 1982 etwas Besonderes werden. Also einigte man sich nach einigem Hin und Her und sicher nach ein paar Sakebechern auf 10000. Und so ist es seither.
Fuyuko San und Toby haben die Mutter die beiden Töchter und den Sohn schon bei den Proben gedreht.

Das schöne dieser ganz besonderen Neunten ist, dass jeder mitmachen darf, der bereit ist 6000 Yen (gut 60 Euro) zu bezahlen und von den insgesamt 14 Proben nicht mehr als 3 fehlt. Dabei ist es völlig egal ob man singen kann oder nicht. Einzig wichtig ist, man möchte es und tut etwas dafür indem man übt. 105 Berufsmusiker und 10000 Laien feiern eine der wunderbarsten Musikkreationen der Menschheit.

Schon der Beginn ist beeindruckend. Die 10000 im Alter zwischen 10 und 95 sitzen und warten auf die Probe. Ich möchte nicht rassistisch scheinen, aber es bräuchte nur 10 wartende Chinesen um das gleiche Hintergrundgeräusch zu erzeugen. Eine unglaubliche Disziplin beherrscht die Halle und, das ist das Beeindruckende, eine freiwillige.

Dann geht es los. 10000 Mal Hingabe pur, reiner Genuß des Dabeiseins und Mitmachens mit dem Ziel das beste mögliche Ergebnis zu erreichen. Als es an die Strophen der Ode geht kann ich nicht anders, ich muss mitsingen. Unglaublich aber wahr, ich sehe keinen einzigen Sänger der irgendwie vom Blatt singt.
Vielleicht haben wir ja etwas richtig gemacht, wir werden sehr herzlich aufgenommen und dürfen, erst wollte man mich nicht mal hineinlassen, drehen wie es uns beliebt.
Die älteste hier ist 95. Sie sei so genervt gewesen von den vielen Fragen nach ihrem Alter, da sei sie dem Ereignis das letzte Jahr ferngeblieben. Dieses Jahr allerdings habe es wieder sein müssen, immerhin singe sie die Ode seit nunmehr über 10 Jahren.

Fuyuko fragt:"Hat das Singen etwas mit Ihrem hohem Alter zu tun?". "Das kann gut sein.", antwortet schmunzelnd die großartige Dame. Kaum hat die geendet formt ihre Nachbarin mit der Hand einen Becher und deutet die typische Geste des Pichelns an. Alle lachen herzlich.
Die Generalprobe ist vorbei und wir müssen gehen. Schneiden, transferieren, damit Diana Zimmermann in Peking das Stück für das Heute Journal fertigen kann. Ja sicher, am liebsten hätte ich es selbst gemacht.

Am nächsten Morgen lese ich auf der ZDF Internetseite: 10000 schmettern Beethoven. OK. Klingt rassig, hat Biss. Ist aber leider total falsch. Die Schlagzeile müßte lauten: 10000 feiern Beethoven und den wunderbarsten Gedanken der Welt: Alle Menschen werden Brüder" Diese 10000 hier in Osaka am 5.12.2010 haben es für eine ganze Synphonie lang erlebt.

Wir warten draußen auf die Familie für ein letztes Soundbyte. Mehrfach werden wir auf das Stück angesprochen und wir geben den ZDF link weiter sooft wir können. Floyd Gilles, ein singender Amerikaner, erzählt uns, dass die ganze Übungsgruppe, immerhin 300 Leute jetzt feiern geht. "We get drunk.", sprudelt er ins Mikrofon.
Sie werden wohl ein paar Klicks mit japanischen IP-Adressen zählen können. Ich kann mich nicht wehren als drei Nachtigallen auf mich zustürzen und unbedingt ein Foto haben wollen. Es sieht unmöglich aus, aber mit der Schönheit ist es wie mit dem singen können. Nicht jeder hat es, Hauptsache man macht mit.

kleines PS.

Es war ein wunderbares Finale der Neunten. Alle sangen aus vollen Kehlen, alle waren bewegt und dann mit diesem letzten "diesen Kuss der ganzen Welt", war es vorbei. Weit gefehlt als ich dachte: "so das war´s jetzt.", kam noch etwas. "Was kann nach einer Neunten noch kommen?", fragte ich mich. Die Antwort ist hier mit save unter downzuloaden.

Musik nach Beethoven