30.11.

Es ist diesig und dunstig als wir landen. Nacht ist es sowieso. Pünktlich 18.50 Uhr Pekinger Zeit sind wir gestartet und haben dennoch 40 Minuten Verspätung. Ich habe gelesen, geschrieben und Dexter geschaut und Dank meiner Geräuschdämpfenden Kopfhörer nichts mitbekommen. Das einzige ungewöhnliche war eine heftige Diskussion zwischen einer Stewardess und einem Fluggast auf koreanisch.
Ich bin recht erstaunt und dann lache ich laut auf als ich bemerke, dass wir in Peking auf dem Flugplatz stehen. Na das ist mal eine Überraschung und die Lösung des Rätsels um den Inhalt der heftigen Diskussion. Man versichert uns, wir würden in ein Hotel am Flughafen gefahren und könnten die Nacht dort verbringen. Ich kann mich allerdings noch gut an die Erzählung von Diana Zimmermann erinnern wie es ihr in einer ähnlichen Situation mit einem Hotel von Air China gegangen ist. "Und wenn ich dadurch weniger Schlaf habe", denke ich,"Wenigstens kann ich die Klamotten wechseln und habe eine Zahnbürste meiner Wahl". Also Taxi und ins Appartement und in aller Frühe wieder los.

1.12.
Vier Stunden sind schon echt wenig Schlaf, aber wenigstens in eigener Bettwäsche. 5.30 Uhr stehe ich wieder vor dem Checkin und wenn ich dachte ich sei der erste um mir wieder einen guten Platz zu sichern, bin ich doppelt im Irrtum. Ersens stehen meine Leidensgenossen alle schon da und zweitens sind es die gleichen Plätze wie gestern.
5.50 Uhr, noch zehn Minuten bis Starbucks öffnet. Paul, wie er sich später vorstellt, wartet auch. Er ist ein netter Mittfünfziger und sehr sympathisch. Ich habe die Firma für die er arbeitet nicht ganz verstanden aber natürlich chatten wir über China und die Chinesen. Natürlich verstehen wir uns wieder ausgezeichnet, denn wir reden über ähnliche Erfahrungen. Chinesen und Höflichkeit, Chinesen und Trinkgebaren, Chinesen und the chinese way of life: MONEY.
Seine Beispiele sind weniger zugespitzt als meine aber ein Thema treibt ihn um. "Ich kann niemanden finden der denken kann.", klagt er. "Wenn ich mit jemandem spreche, der mich und meine Anliegen nicht versteht, bitte ich darum mit dem Manager zu sprechen. Sie können nicht mit dem Manager sprechen, wird mir geantwortet. Warum nicht, frage ich. Weil sie kein Manager sind wird mir geantwortet." Die Etappenhengste seien nicht in der Lage oder nicht klug genug zu entscheiden und mit den Chefs dürfe er nicht reden, dass sei oft ein großes Hindernis unkompliziert zu Lösungen zu kommen. Es ist ein sehr schönes Gespräch und versöhnt mich schon fast völlig mit den Umständen dieses Morgens. Ich kann ja nicht wissen, dass es nur der Anfang ist.
Unser netter Talk hat mich die Zeit vergessen lassen und so sind es nur noch 10 Minuten bis zum Boarding. Mist. Um die Sache abzukürzen stelle ich mich am Gruppenschalter bei der Passkontrolle an. Behängt mit den Taschen und der großen Fernsehkamera sehe ich wohl exotisch aus. Der Diensthabende mit drei Sternen auf der Schulter kommt auf mich zu und ich erkläre eilfertig, dass ich spät dran sei und er möge doch bitte ein Einsehen haben. Der Mann mit dem guten Gesicht lächelt und nickt meine Bitte ab. Dann stehe ich am Schalter und werde natürlich von dem Mann mit den zwei Sternen auf der Schulter an die anderen total vollen Schalter verwiesen. "You are no group.", sagt er. Ich zeige auf den Dreisterner und sage, erhabe es erlaubt. Der Dreisterner dreht sich um und nickt nochmals, bevor er die hinter mir stehenden zu den anderen Schaltern schickt. Mürrisch beginnt der Zweisterner meinen Pass zu prüfen und dann wird die Ursache für sein Mürrischsein eröffnet. Ich habe ihn leider gezwungen sein Gesicht zu verlieren. Das blödeste Souveränitätskonzept und leider zu 100 Prozent verbreitet in China und leider auch in Ostasien.
Er verliert sein Gesicht, weil er nämlich den Dreisterner rufen muss. Der muss ihm zeigen welchen Optionsbutton der drücken muss, um seine Passkontrolle auf eine Person beziehen, statt auf eine Gruppe. Das Gesicht des Zweisterners spricht Bände als er mir den Pass zurückgibt. Dem sollte ich besser nicht noch einmal begegnen.
Die Hoffnung schnell durch die Sicherheitskontrolle zu gelangen zerschlägt sich auch. Natürlich muss ich zum Sprengstofftest. Da allerdings ist in der Frühschicht eine Einsternerin tätig. Sehr sorgfältig schaut sie sich einen Akku der Studiokameraausrüstung an, um gleich darauf eine zweite zu inspizieren und eine dritte. Ich erwähne kurz dass gestern alles kein Problem gewesen sei und außerdem die boarding time begonnen habe. Keine Reaktion. Statt dessen greift sie zum Telefonhörer und eine Minute später erscheint eine Dreisternerin. Wie gesagt, beim gestrigen Flugversuch war alles kein Problem. Nun werden die Akkus wieder sehr intensiv beschaut. Dann schaut sie auf die blanken Kontakte der Anschlusszapfen und überlegt. Am Ende werden alle Akkus in einzelne Tüten verpackt und danach der obligatorische Papierstreifentest unternommen. Es ist 7.15 Uhr als ich endlich gehen darf. Schnell hopse ich auf eins der Bezahlgolfcars und bin nicht sauer über die gut zwei Euro die ich investiere. Ich hätte es wohl nicht geschafft.
Im Flieger sehe ich meinen Sitznachbarn von gestern wieder und bin froh, dass unser dritter Mann nun doch gleich nach Singapore weitergeflogen ist, wie er gestern nach dem ersten misglückten Flugversuch andeutete.
Natürlich bin ich neugierig. "Wie war denn die Unterbringung?", will ich wissen. "Nun ja.", beginnt mein Nachbar vorsichtig. Dann erzählt er, dass sie um 1.30 Uhr erst in den Zimmern waren und man runde 17 Euro hat zahlen müssen um nicht in ein Doppelzimmer mit einem Wildfremden gesteckt zu werden. Leider stellte Air China aber niemanden zur Verfügung, der eine andere Sprache als chinesisch sprach, so dass die des chinesisch mächtigen den Dolmetscher Job übernehmen mussten. Gott sei Dank war ich gewarnt und hatte durch meine kleine Heimfahrt auf diese Weise nicht nur frische Sachen, sondern auch noch mehr Schlaf.
Kim, mein sehr sympathischer Gesprächspartner ist Koreaner und spricht hervorragend englisch. Mit seinem Chef, Kim in der Dolmetscherrolle, waren sie gerade in China und haben ein gutes Geschäft in der Pharmaindustrie abgeschlossen. Wir sprechen über China und die Veränderungen. Ich erzähle die Geschichte mit dem chinesischen Fernsehkorrespondenten, der in unglaublich arroganter Weise beim G20 Gipfel Obama als Pressevertreter der asiatischen Familie aufspielte, obwohl Obama gezielt, aus Höflichkeit und wegen der großen Gastfreundlichkeit wie er sich ausdrückte, eine Frage in seiner Pressekonferenz an die koreanische Presse vergeben wollte. Die Geste wurde durch das unmögliche Auftreten des Chinesen rüde zerstört. Es fand sich aber leider kein koreanischer Kollege, der Einspruch erhoben hätte.
So reden wir über China und kommen dann zu Nordkorea. Ich erzähle ihm von meiner DDR-Vergangenheit und meinem damaligen Schwarz-Weiß-Denken, das zu überwinden meine Aufgabe gewesen war, als die Mauer abgebaut wurde. Wie im Flug gehen die Flugstunden dahin und plötzlich landen wir. Im Landeanflug versichern wir uns gegenseitig wie angenehm und interessant unser Gespräch war und dann passiert etwas unerwartetes. Kim lädt mich zu einer Hochzeit am Abend ein und ich hoffe begeistert, dass ich dieser Einladung werde Folge leisten können. Immerhin bin ich zum Arbeiten hier. Wir verabschieden uns.
Es ist wirklich einfach und sehr angenehm, mit dem Korean-Air-Shuttlebus in die Stadt zu kommen. In bequemen Sitzen rollt es sich angnehm die eine Stunde Seoul Zentrum entgegen. Glück gehabt. Mit Hinweis auf meine kleine Odyssee mit wenig Schlaf, übernimmt Tim den Schnitt und ich darf 14.30 Uhr unerwartet Feierabend machen. Obwohl ich müde bin, muss ich down town. Nur eine Querstraße hinter dem Hotel wird es wuselig.

Meist zwei- bis fünfstöckige Häuser, alle nicht älter wirkend als vielleicht dreißig Jahre, mit Gassen die durch alle Art an Verkaufsständen noch enger sind.

Geschenkbandläden gibt es hier, Touri-must bis Touri-No Go Souveniershops, verschiedenste Klamottenläden von Unten bis Oben, von Unter bis Über und vieles andere.

Ein Mann in einer Gasse arbeitet sich an einem Schweinekopf ab. Was er aus den Schädeln herauszulösen versuchte ist nicht zu erkennen und ich traue mich nicht näher.

Erst die kleine Kamera, doch die bringt es in diesem Licht nicht. Ein ganzer Haufen offensichtlich schon durchgearbeiteter Schädel türmte sich auf der anderen Seite daneben. Ich will gerade die interessante Szene richtig fotografieren als ein Mann mir mit der Hand die Linse verdeckt.

Meine fotografische Neugierde ist unerwünscht. Es ist die erste und auch letzte Geste von Unwillen und Verbot, die ich in Korea erlebe. Das Recht mir meine Fotos zu verbieten, hat er allemal.
In Seoul kann man auf Snackabenteuerreise gehen. Wie überall auf der Welt wird auch hier gebacken, gebraten, frittiert und geröstet. Ich probiere einen kleinen frittierten Puffer mit einer sehr leckeren Füllung, die leicht nach Zwetschge schmeckt.

Und Weihnachten gibt es hier. Nicht ganz unerwartet in dieser unnachahmlich kitschigen glitzer-blinker Variante. In China wirken die weihnachtlichen Kitschkunstwerke völlig unplaziert hier nicht.

An jeder Ecke so scheint es gibt es eine Kirche, meist eine der verschiedenen reformierten.
Wenigstens ist die Innnenstadt von Seoul eine, die man durchschlendern kann. Zugegeben der Mainstreamgeschmack ist ganz sicher nicht meiner. Ich kann sie halt nicht teilen die offensichtliche Begeisterung für das kleine Winterwonderland an der First Class Shopping Mal "Lotte".

Mein Versuch kleinen Mitbringselkitsch für Sabines Therapiekinder zu kaufen scheitert an den Preisen. Angesichts der Preise hier die sich von denen zu Hause nicht zu unterscheiden scheinen frage ich mich einmal mehr wie die vielen Menschen mit sicher minderbezahlten Jobs hier überleben können.
Es ist Abend geworden und ich muss mich für die Hochzeit vorbereiten. Ich hoffe ich werde darüber nicht nur schreiben sondern auch Knippsen können. Meine U-Bahnkarte vom G20 Gipfel bringt mich nach der Aufladungsprozedur in die Nähe. Die Concierge im Hotel hat mir mein Ziel auf einem Google Map Ausdruck eingezeichnet. Dennoch stehe ich vor der Kreuzung wie auf einem anderen Planeten. Zwei junge Schlipsträger frage ich und sie nehmen mich in Schlepp. Wir haben das gleiche Ziel. Sieben Uhr war verabredet. Ich bin zehn Minuten zu spät.

In der Lobby sitzend rufe ich Kim. Es klingelt, aber sonst ist nichts zu hören. Nach dem dritten Versuch fünfzehn Minuten später klingelt es nicht mehr. Eine koreanische Stimme erzählt etwas und da auch diese Ansagen international sind, schließe ich es muss sich um die "Diese Person ist im Moment nicht erreichbar."-Ansage handeln.
Nach einer Stunde habe ich es dann doch eingesehen. Die Eindrücke von der Hochzeit bleiben zwangsläufig flüchtig.

Kim konnte aus welchen Gründen auch immer seine Einladung nicht umsetzen. Per sms übersende ich Glückwünsche an das Paar und verabschiede mich. 20 Stunden später werde ich eine verschämte sms erhalten. Den Versuch war es wert und immerhin bin ich auf diese Weise einmal den Ring der Linie 2 vollständig abgefahren.

2.12.

Wir werden uns zu Kaffee treffen. Das Frühstück für nahezu 20 Euro ist mir dann doch zu reichhaltig. Also laufe ich erst einmal. Es ist weniger diesig als Gestern und dafür etwas kälter. Ich versuche einen Park zu finden, doch was ich für einen Park halte sind die Bäume, die das historische Museum umgeben. Auch so eine Palastanlage die wie eine verkleinerte Ausgabe der Verbotenen Stadt in Peking wirkt. Struktur, Dächer, Hofgestaltung, überdachte Passagen und alles quatratisch, praktisch, gut. Ich habe keinen Fotoapparat mitgenommen und werde mich darüber ärgern.
Vom Museum laufe ich in gefühlt nördliche Richtung. Ich möchte am Kaiserpalast vorbeilaufen um die Runde zu vollenden. Doch die Hügel hinter dem Palast haben es mir angetan auch wenn meine Lungen und Oberschenkelmuskeln umgehend protestieren. Egal. Erst einmal geht es durch eine Gasse. Ein vielleicht sechsjähriger Junge macht sich in Schuluniform gerade auf den Weg. Das hab ich noch nie gesehen. Statt eines Schulranzens zieht er einen Rollkoffer hinter sich her. Ich grinse ihn breit an. Ein kleiner öffentlicher Sportpark, es gibt keine Wege nur eine große unterteilte Schotterfläche, liegt auf dem Weg zum Aufstieg. Ein Vater, das Jacket hat der abgelegt, treibt mit seinem Sohn klassische Frühsportübungen. Die Straße ist steil doch zwei Serpentinenkurven später werde ich für meine Entscheidung belohnt. Auf einem Schießstand stehen 4 Männer. Gelbrote Schärpen um die Hüften geschlungen. Sie tragen traditionelle Bögen. Immer einer von ihnen legt einen Pfeil auf, spannt den Bogen im ca 45 Grad Winkel erhoben, senkt langsam zum zielen und schießt. Der Schießstand endet allerdings gute 20 Meter vor den Schützen und ich frage mich wohin sie eigentlich schießen. Ich versuche den Pfeilen zu folgen, aber im Rechten Winkel zu den Schützen stehend, sind sie zu schnell. Schießen sie einfach so in die Luft?
Nein, schießen sie nicht. Zwischen dem Abschuss und dem Ziel liegt noch ein Hohlweg. Nur wenige Meter weiter auf der Straße hat sich mein Beobachtungswinkel so verbessert, dasss ich das Zielgebiet sehen kann. Es liegt auf der anderen Seite der "Schlucht", ca. sechzig Meter entfernt. Eine kleine Seilbahn mit einem Pfeilköcherkasten verbindet die beiden Teile des Schießplatzes. Als die vier ihre Serie beendet haben, taucht ein Mann auf und sammelt die Pfeile ein. Er trägt keine Schärpe. Ich laufe weiter und finde eine Treppe die auf die Kuppe des Hügels führt. Oben stehen eine Reihe von Fitnessgeräten und werden sogar benutzt. Es ist ein inspirierender Platz dafür. Auf meinem Weg zurück geht es direkt am Schießstand vorbei. Die Schützen schießen ihre Serie. Ich schaue wieder zu. Die Bögen zu spannen braucht offensichtlich Kraft. Selten trifft ein Pfeil die Scheibe aber nie fällt er vor diesen hinunter. Sie machen wieder Pause. Ich bitte fragen zu dürfen, kein Problem. Ja, dass seien traditionelle Bögen aus dem Holz des Kahoon Baumes, wenn ich den Namen richtig verstanden habe. Ja es gäbe auch Bögen aus Karbofaser, aber ihre seien traditionell. Die Pfeile allerdings seinen alle aus Karbofaser, das wäre einfach praktisch. Allerdings habe ich mich heftig verschätzt. Es sind neuzig Meter bis zu den Scheiben und wenn ich an das Aufschlagsgeräusch denke, das sie erzeugen erhöht sich mein Respekt. Ich bringe denselben zum Ausdruck und den Vieren scheint es zu gefallen. Sie beginnen eine weitere Runde und ich laufe den Hohlweg zurück. Bei den eben erlebten Schusskünsten habe ich keine Sorge. Zwei Pfeile schießen über mich hinweg. Nur noch den Vorplatz vom Kaiserpalast durchqueren, dann ist meine Morgenrunde vollendet. Vom Rest des Tages ist leider nichts zu erzählen, denn außer Kaffeetrinken, arbeiten, Diana und Tim verabschieden und total müde ins Bett fallen, ist nix gewesen.