1. März 2010
6.30 klingelt der Wecker. Legt euch wieder schlafen heißt es, die Entscheidung ist noch nicht gefallen. Wir dösen noch ein bisschen vor uns hin, doch dann geht es 7.30 Uhr doch los. Auf nach Gucheng. Aus Deutschland, Yang Ghu, 300 Yuan steht nun von oben nach unten auf dem Plakat. Die Wushuschule fährt heute schon einmal nicht zum großen Fest ins über eine Stunde entfernte Dorf. Sie müßten auf der offenen Ladefläche eines Lasters fahren. Bei dem Wetter völlig ausgeschlossen. Nicht das sie die Kälte schreckte. Es ist zu gefährlich wegen der vereisten Straßen. Sie ist klar und eindeutig, da sind sie sich einig. Wir sollten auf keinen Fall fahren, wir kämen nicht an. Lu Chaos Frau kocht auf einem ganz simplen Kohleofen. Zylindrische Brikettstücke mit Löchern werden in eine Kartusche aus Ofenziegelmaterial gesteckt und brennen darin vor sich hin. Es gibt keinen Abzug. Keine zwei Meter entfernt davon liegt die Lu Chaos krank auf dem Bett. Heute schafft sie es nicht aufzustehen und grüßt nur müde, aber herzlich. Außerdem bedeutet sie uns, sie wir sollten auf sie keine Rücksicht nehmen. Am gegenüberliegenden Ende des Raumes steht der Tisch, an dem wir auf Holzschemeln sitzen. Seitdem hat seine Hütte keine Heizung mehr. Ich empfinde große Achtung vor der Hingabe dieses Mannes an seinen Forschungsgegenstand. Unse nächste Aufgabe ist die Wushu-Gruppe beim Joggen durchs Dorf zu drehen. Eine Gelegenheit, über den Tagesablauf der jungen Kampfkünstler zu sprechen. 4.00 Uhr aufstehen und Jogging. Danach Training, Schule, Abendbrot und wieder Training von 7 Uhr abends bis 10 Uhr nachts. Schlafen gingen die Kleinen, erklärt Ray, zwischen elf und Mitternacht. Er, Ray, sei auf wenig Verständnis gestoßen, als er durchsetzte bis acht zu schlafen. Da er mit einigen der Schüler gemeinsam in der Hütte schläft, kann er auch schlecht vorher zu Bett gehen. Die Eltern dieser Kinder halten im Interesse der Teilnahmedisziplin an der Wushu-Schule es für besser, dass die Kleinen in der Hütte nah dem Tempel schlafen. Nach dem Joggen führen die Wushu-Schüler ihre Übungen vor. Außer für die Kleinsten ist diese Übung offensichtlich Pflicht, denn alle anderen führen sie vor. Mit einem Salto befördern sie sich auf den Rücken, bleiben kurz liegen und stemmen sich mit Schwung wieder zurück in den Stand. Nicht nur einer hat sich danach den Hinterkopf gerieben. Schon beim Zuschauen tut das weh. Nach der Trainingsvorführung lassen es sich die Erwachsenen nicht nehmen ihre Künste auch zu zeigen. Ray ist nicht nur Antropologe und will hier sein Material für den Doktortitel sammeln, er ist auch selbst seit 27 Jahren Kampfkünstler. Sicher auch ein Grund für die Achtung die ihm die Gemeinde entgegenbringt. Auch Lu Chao zeigt seine Kunst. Er ist gut. Bei solchen Vorführungen werden üblicherweise Schwerter mit ganz dünnen leichten und extrem flexiblen Klingen genutzt. Das von Lu Chao verwendete hat eine Eisenklinge die gut 4mm dick ist. Dieser Mann ist ein Kraftpaket und dabei gewand und flink. Diese unglaubliche Hantel gehört zum Freilicht-Gym im Hof vor der Hütte. Ich habe es auch probiert die Hantel mit einer Hand wenigsten hochzuheben. Etwa auf Kniehöhe habe ich aufgegeben. Links die Frau mit der Perücke ist Fans Frau die Lehrerin. Sie haben beide einen Sohn der natürlich auch Kampfkunst übt. Das Dorf hat einen Meihuaquan Wushumaster eingeladen. Er hat keine Hände, er hat Pranken. Beim gemeinsamen Essen erzählt er dann, er habe diese Hände geformt indem er auf einen mit groben Kieselsteinen gefüllten Sack Stunden und Tage mit der flachen Hand eingeschlagen habe. Handinnenseite, Handrücken immer im Wechsel. Natürlich läßt er sich, der nach eigener Aussage seit 10 Jahren nicht mehr trainiert, nicht nehmen Ziegelsteine zu zerschlagen. Dann zeigt auch er eine Form. Wir führen mit Ray ein Interview, da hören wir es in unserem Rücken noch einmal ziegelsteinisch brechen. Der Meister hat einen auf seinem Kopf zerschlagen. Später, als wir ein Interview mit dem Meister führen, erzählt er wie man das Chi sammelt um so etwas zu vollbringen. Als er offensichtlich das Gefühl hat, nur erklärt sei es nicht aussagekräftig genug, beginnt er eine Übung zu diesem Zweck zu zeigen. Ray flüstert mir zu, diese Übungen seien geheim und würden normalerweise nur auserwählten Schülern des Meisters gezeigt. Gleich beginnt er die Bewegungen nachzuformen. Am Abend wird der Abschluss des Neujahrsfestes am Buddhistischen Tempel gefeiert. Um die Ecke Pekingoper. Sie spielen zweimal. Hier die Nachmittagsvorstellung. Das Publikum sitzt zu beiden Seiten der Straße damit der Verkehr passieren kann. Neugierig auf die Vorbereitungen im Tempel gehen wir schon mal vorbei. Scharen Neugieriger sind im Innenhof versammelt. Im Durchgang hinter dem geschlossenen Haupttor mischen Männer mit Schaufeln graues Pulver. Das darf doch nicht wahr sein. Das Pulver stammt aus gekauften Feuerwerkskörpern die entleert in der Ecke liegen. Offensichtlich mit Salpeter aus Kunstdünger mischen sie das Pulver zu einer Feuerwerksmischung alla "Dorf Gucheng". Noch ein wenig Wasser zum andicken und stampfen die Männer die fertige Masse in die Eisenhülsen ein. Was für eine wunderbare Sendung mit der Maus könnte man daraus machen:" Heute? Wie mache ich Feuerwerk auf echt chinesisch." Als ob man auf uns gewartet hätte, wird der Panzer zum Test in Stellung gebracht. Eine Ladung kommt hinten in das Rohr hinein, Zigarette für die Zündung und Rumps. Aber der Rumps war nur der Abschuss. Etwa 40 Meter weiter und 20 Meter höher erstrahlt ein heller Blitz, eine kleine Wolke erscheint und ein heftiger Knall erschüttert die Luft. Na prima. Natürlich drehen wir das. Nach dem zweiten Abschuss bedeutet mir Heiko vielleicht lieber noch etwas weiter ab zu rücken. Sein Vorschlag wir von mir befolgt und ist prophetisch. Heiko dreht nach diesem Schuss gerade Publikumseinstellungen, als es bei der dritten Zündung zu einem Rohkrepierer kommt. Der Knaller ist nicht in sicheren 44 Metern Entfernung explodiert, sondern zerfetzte sich nach dem er vorn aus dem Rohr geplumpst war. Der Knall ist tatsächlich ohrenbeteubend und die Druckwelle so stark, dass sich der Stativkopf in der Stativpfanne unseres Kamerastativ löst. Gott sei Dank ist nichts passiert und so bleibt es beim:"Das darf doch nicht wahr sein." Der krönende Abschluss des Festes wird das Entzünden des mit Feuerwerk verzierten Mastes sein. Er wird unten entzündet und würde sich dann über unglaubliche 10 Minuten nach oben blitzen und knallern. Natürlich zeigt die Wushu-Schule auch schon am Nachmittag ihr Können. Da sie nicht zum Großen Fest fahren konnten werden sie auch heute abend auf dem Vorplatz Programm machen. Dieser Plan hat nur einen Haken. Es gibt kein Licht hier und die paar Leuchtketten spenden nicht genug Licht für unsere Kamera. Wir rufen unseren Fahrer an und beauftragen ihn, Material für eine Lampenkette zu kaufen. Ich schneide mir mit dem rostigen Cuttermesser des Fahrers natürlich erst einmal in den Finger. Na toll. Dennoch macht es einen heiden Spass die Kette gemeinsam mit dem einen Elektriker zusammenzubasteln und dabei die unterschiedlichen Herangehensweisen zu einer optimalen zusammenzuführen. Meine Variante die Außenisolierung zu entfernen ist besser als seine, dafür ist die seine, die Drähte abzuisolieren die bessere. Am Ende lässt dieses glänzende Beispiel deutsch chinesischer Zusammenarbeit den Abend erstrahlen. Was für ein Tag. Beendet wird er mit einem gut zwei stündigen Feuerwerk vom allerfeinsten. Wir haben uns aufs Feld verkrümelt, es ist uns zu gefährlich auf dem Tempelvorplatz. Unsere Vorsicht ist berechtigt. Der mit Feuerwerk geschmückte Mast der eigentlich von unten nach oben brennen sollte, fängt durch den Funkenregen eines ganz besonders schönen Feuerballs unfreiwillig Feuer, allerdings von oben. Das löst eine heitere Panik unter den Zuschauern aus und gibt uns keine Chance das Zehn-Minuten-Versprechen zu überprüfen. Am Ende sind wir völlig durchgefroren. Dabei sind wir es, die spezial Funktionsklamotten und Daunenjacken tragen. Das Drehmaterial ist, Dank unseres hervorragenden Kameramannes Heiko Käberich, dramatisch schön . Sehr herzlich werden wir verabschiedet, nicht ohne noch mit Spezialitäten der Gegend beschenkt zu werden. Drei anstrengende aber wunderbare Tage gehen zu Ende. Am liebsten würde ich jetzt gleich China für immer verlassen und diesen Eindruck vom unglaublichen Dorf Gucheng durch keine Erfahrung mehr trüben lassen. p.s. Ich wollte ja noch eine Eintragung über die Rückfahrt machen. Wir bekamen keine Rückfahrkarten und mussten die Autobahn nehmen. Da aber der Tenor dieses Berichtes genau der Sorge die ich gerade aufgeschrieben habe Futter gäbe, lasse ich ihn einfach weg und fahre 3 Tage später erst einmal wieder zu meinen Lieben nach Hause. |