28. Februar 2010

8.00 Uhr pellen wir uns endgültig in den kalten Tag.

Ich habe Kopfschmerzen die mich den ganzen Tag nicht mehr verlassen werden. Aber das wird kaum eine Rolle spielen. Kaum.
Ohne Frühstück zum Dorf. Lu Chao hat uns mit zum Truckstopp begleitet, wir brauchten ein zweites Auto und sein kleiner Minibus/Lieferwagen wird Produktionsbegleitfahrzeug für die nächsten zwei Tage. Es ist aber auch der einzige Weg diesem Mann etwas Gutes zu tun. Ohne diesen Miettrick würde er ums Verrecken für die Hilfe, Verpflegung und Betreuung die er uns angedeihen läßt keinen einzigen Yuan annehmen. Später wird Ray erzählen, dass die Familie das übriggebliebene Essen der Gastbewirtung meist noch Tage danach isst, doch die Verpflichtung, gute Gastgeber zu sein, würde um jeden Preis erfüllt.

Lu Chao ist der Sohn des Obervorstehers der Gemeinde, ist verheiratet und hat drei Kinder. Der Tag im Dorf beginnt für uns mit einem Essen bei der Familie Lu. Natürlich sind wir eingeladen, Widerspruch zwecklos. Zum Frühstück gibt es Kohlsuppe mit Glasnudeln und Tofu. Sie ist lecker. Dazu gibt es Mantoo. Das sind Hefeklöße, fester als die in Deutschland gebräuchlichen, relativ nach nichts schmeckend und übliche Beilage. Doch ich greife vor.
Zuerst wird eine Portion Essen geopfert. Lu Chao brennt im Innenhof eine Knallerkette ab und sein Vater trägt würdig ein Tablett mit Suppe und Klößen in den Hof.

Vor dem kleinen Schrein gleich neben dem Eingang spricht die Dreigenerationenfamilie knieend ein Dankgebet. Familie Lu bemüht sich herzlich um uns. Obwohl die etwa 60 jährige Großmutter schwer krank ist, lassen Sie es sich nicht nehmen unsere Gastgeber zu sein. Mutter Lu hat sich heute nur wegen uns extra aus dem Bett gequält. Sie wird die nächsten zwei Tage zu schwach sein und ihr Lager nicht mehr verlassen können.
Da Ray von Lu Chaos Großmutter sehr angetan ist, hat er uns empfohlen sie zu interviewen. Wir fragen. Sie tut es. Völlig verblüfft ist Ray allerdings, als Sie uns gestattet den im Nebenraum befindlichen Meichuaquan Schrein nicht nur zu drehen, sondern für uns dort auch Räucherstäbchen anzündet und betet. Auch dürfen wir sie hier interviewen.

Ray versichert uns, das ihm, der hier schon Monate als Gast der Familie zugebracht habe, noch nicht mal gestattet worden sei diesen Raum zu betreten. Am nächsten Tag werden wir erfahren, dass man vor unserer Ankunft das Orakel befragt hatte, wie man mit uns umgehen solle. Das Verhalten der Gemeinde uns gegenüber ist eindeutig. Die Antwort war positiv.
In den folgenden zwei Tagen werden wir in einer Offenheit, wie noch nie vor Ausländern in diesemm Dorf geschehen, über Meihuaquan und das Leben der Leute hier erfahren dürfen. Ohnehin sind wir das erste professionelle Kamerateam im Ort überhaupt. Ray ist begeistert und bringt seine Verwunderung darüber häufig zum Ausdruck.
Der Meihuaquan Tempel ist nicht nur religiöses Zentrum der Gemeinde, sondern auch soziales Zentrum. Im Innenhof trainiert die Wushu Schule. Ein Spender, der anonym bleiben will, hat der Gemeinde einen Computer mit Internetanschluss geschenkt. Er steht neben dem Fernseher. Ray berichtet, dass sich die Gemeinde oft die Vorführung ihrer Wushu Kämpfer anschaut. Also bitten wir sie uns drehen zu lassen, wie sie das tun. Da im Tempel bis auf ein paar Leuchtstoffröhren keine Lampen brennen, hängt Vater Lu eine Glühbirne über die Girlande mit Scherenschnitten damit wir drehen können.

Während dessen beginnt es zu schneien.

Der eigentliche Grund der Reise war die Idee ein von den Meihuaquan Gemeinden veranstaltetes Fest zu drehen. Ray sprach von 10 000 Menschen die kämen, um sich die Darbietungen der verschiedenen Wushu Schulen zu Ehren des Festes anzuschauen. Am heutigen Sonntag wollten wir die letzten Vorbereitungen der Schule drehen. Der Höhepunkt sollte dann das große Treffen der Wushuschulen werden. Der Neuschnee und der Frost in der Nacht werden diesen Plan unters Eis bringen. Doch davon später.
Für jetzt hatten wir uns verabredet das Training der Wushuschule zu beobachten. Als Ersatz für diese nun vom Schnee verhinderte Idee führt uns nur der Wushu Lehrer Fan eine Übung im Innenhof des Tempels vor.

Er ist offensichtlich ein Könner und in dieser Koulisse ist es einfach nur sehr schön.

Fan war Elektronikhändler und recht erfolgreich. Als er aber das Metier wechselte und sich darin weniger erfolgreich betätigte befragte er das Orakel. Er solle das Business einstellen und sich um die Wushu Schule der Gemeinde kümmern. Seither verdient seine Frau, die Lehrerin ist, das Geld für beide, denn der Dienst für die Gemeinde ist ehrenamtlich.

Wir drehen dann noch ein paar Schneebilder als es Zeit wird für ein frühes Nachmittagsessen, zumindest nach Meinung unserer Gastgeber.
Es findet im Haus des örtlichen Papierwarenherstellers statt. Er stellt in seiner Fabrik Opferpapier her, das sowohl im in China praktizierten Buddhismus, Daoismus, Konfuzianismus und auch von den Meihuaquan Jüngern als Opfergeld verbrannt wird.
Es gibt Eselswurst,

das Wangenfleisch vom Schweinekopf,

Schinken, Herz

und noch eine Fleischsülze, alles Delikatessen der Gegend. Hier ist es auch, wo ich meinen ersten Bai Jio Schnapps in China trinke. Es ist ein Kornschapps aus Reis oder Hirse und ein Zeug von dem Ray, sagt, Bai Jio schmecke am besten, wenn der Geschmack vorbei wäre. Er hat recht.
Irgendwie hatte ich die Hoffnung, er würde meine Kopfschmerzen lindern. Natürlich tat er es nicht.

Nach dem obligatorischen Familienbild mit Ausländern, dürfen wir uns verabschieden. Der Dreck auf dem Boden sind die nach chinesischer Esssitte achtlos auf den Boden fallengelassenen Erdnussschalen. Weiter geht es zum Buddhistischen Tempel. Morgen wird vor seinem Haupttor ein Neujahrsabschlussfest des ganzen Dorfes stattfinden.
Es wird dunkel und damit der Dreh für heute erst einmal beendet.
Lu Chau hat für die heutige Nacht in der Kreisstadt eine Übernachtung organisiert. Wir müssen uns zwar auch diesmal den Raum teilen, aber wenigstens ist er geheizt.
Vorher allerdings ist das Drehteam vom für das Dorf verantwortlichen Kader in der Kreisstadt eingeladen worden. Nach einer halben Stunde über frisch verschneite Wege und Straßen empfängt uns der Lärm einer Kreisstadtedelkneipe. Nachdem ich pflichtgemäß dem Kader die Hand geschüttelt habe drehe ich um. Mit meinen Kopfschmerzen kann ich den Lärm und die Zigarettenrauch geschwängerte Luft nicht ertragen. Später werden die Kollegen davon berichten, dass der Typ in kürzester Zeit sich dermaßen zuschüttete, dass er beinahe auf den Tisch gekotzt hätte. Was bin ich froh, nicht dabei gewesen zu sein. Dennoch kann ich nicht einschlafen und kümmere mich statt dessen um die Fotos.
Noch ist nicht klar was der Morgen bringt. Können wir zum Megaevent fahren oder hat der Schnee und diese Rechnung durchgeschneit?
Heiko und ich, es gab nicht genug Zimmer im Hotel, stellen den Wecker auf 6.30 Uhr. Es ist 23.00 Uhr.