27. Februar 2010
Es gibt keine Fluglinie nach Handan. Also fahren wir mit der chinesischen Variante eines ICE. Nachdem wir Peking verlassen haben trägt er uns durch die verblasste ockerfarbene Ebene.
Die Zugbegleiterin deren Uniform einer Generalin nicht unähnlich ist, sammelt volle Mülltüten ein und verteielt neue.
Sie heißen Dan She, wie mir Andreas Schlieker erzählt, Geschoßzüge, wobei Bullet Train besser klingt. Von den theoretisch möglichen 350 km/h stehen 206 auf der Anzeige an der Stirnseite des Wagons. als wir Peking verlassen.Doch diese Geschwindigkeit hält er nicht. Bald sind wir auf normaler Strecke unterwegs und so sind es "nur" noch 160. Die nächsten 2 Stunden fahren wir durch eine Landschaft die man nur als Brett bezeichnen kann. Damit die Fahrgäste angesichts dieser Umgebung nicht in Melancholie verfallen, dudelt fürchterliche "Entspannungsmusik" durch den Wagon. Gegen diese Landschaft ist selbst Friesland bergig. Shijiazhuang ist der einzige Stopp auf unserer Fahrt nach Handan. Shijiazhuang ist Provinzhauptstadt von Hebei. Die Provinz ist das chinesische Brandenburg, denn auch sie umschließt die Hauptstadt wie das Eiweiß im Spiegelei, das Dotter. Lächerliche 9,28 Mio offizielle Einwohner hat sie, die Wanderarbeiter nicht mitgezählt. Ganze zwei Minuten hält der Zug hier, dann geht es weiter. Entsprechend drängeln die einen hinaus und die anderen hinein. Nach Shijiazhuang hat der Hochgeschwindigkeitszug wieder seine eigene Trasse und so brettern wir wieder mit über 200 über die Ebene. Einmal lese ich sogar 207 auf der Anzeige.
Wir sausen durch Xingtai. Die Stadt hat lediglich 6,5 Millionen Einwohner und ist einen Halt des Zuges offensichtlich nicht wert. 40 Minuten Waschbrettlandschaft später sind wir in Handan.
Ich will nicht vergessen zu erwähnen das der Zug gut und gern 500 Meter mißt, entsprechend lang ist der Bahnsteig. Man hat zwei Dan Che gekoppelt. Er ist rappel voll. Dennoch läßt sich kaum denken, dass sich diese Strecken amortisieren. Wir sind erster Klasse die fast 600 km gefahren und haben umgerechnet 18 Euro bezahlt.
Handan googelt sich auf 8,9 Milllionen Einwohnern. Ob der ICE erst ab 8 Millionen hält?
Der Bahnhofsvorplatz ist wie oft ein riesiger, schrottiger mit einem Reiterstandbild und der erste Satz unseres Kameramannes ist:"China ist eine einzige große Müllkippe." Ich stimme ihm zu.
Die Aussage zu überprüfen ist überhaupt kein Problem zumindest in der Bahnhofsumgebung. Während die anderen die Rückfahrkarten kaufen, versuche ich mir einen kleinen Eindruck zu verschaffen. Die Fußgängerbrücke über die angerenzende Hauptstraße ziert eine Werbung für deutsches Bier. Hat jemand schon mal von "Mond"-Bier gerhört?
Gegenüber dem Hauptbahnhof der 8,9 Millionenmetropole wird die Zukunft gebaut. Die Werbung dazu zeigt die Idee recht anschaulich.
Natürlich trägt das Projekt ein "International" im Namen. Wenn es fertig ist wird es "Anju Tishang International" heißen.
Mal schauen wie die Umgebung so ist, denke ich bei mir und biege um die Ecke. Wir sind wieder in dem China angekommen das zu mögen leicht fällt. Es ist echt. Doch das Bahnhofsviertel von Handan wirkt schon auf den ersten Blick anders als die Provinzstädte, die ich bisher besuchen konnte. Sicher es ist Winter und der Himmel grau und dennoch. Es ist unglaublich trostlos. Die Stadt ist tatsächlich eine einzige Müllkippe und es scheint , zugegeben auf den ersten Blick, nicht einen schönen Ort in der Stadt zu geben. Es ist ein riesiger Betonmüllhaufen auf dem öden Waschbrett das Südhebei heißt (Chebei).
Bevor wir zu unserem Ziel, dem Dorf Gucheng fahren, kaufen wir noch eine Kiste Feuerwerk und zwei Kisten Pomelos, nebst einer Fuhre Bonbons.
Noch ist es zwar kalt aber wenigstens trocken. Doch das wird sich im Verlauf der nächsten zwei Tage ändern.
Es ist gegen 8.00 Uhr als wir uns über Feldwege dem Dorf nähern. Unser Fahrer fragt oft nach dem Weg obwohl er natürlich ein Einhaimischer ist. Wir landen in einem Ort und fragen einen Mann der am Wegesrand steht. "Seid ihr die Ausländer?", fragt er. Wir bejahen und fragen nach der Gemeinde. "Wartet ich mache Feuerwerk!" Gesagt getan, zündet er eine dieser Knallerketten in der Hand, schwenk und wirbelt sie durch die Gegend. Nachdem die ausgeknallert hat, nimmt er zwei Orchesterbleche in die Hände ruft,:Leile, Leile!" Mit diesem fröhlichen:"Sie sind da!", stiefelt er vor uns her und schlägt dabei im Takt die Orchesterbleche aneinander.
Was für eine Begrüßung. Wir sind baff. Es wird noch besser. Auf einem kleinen Platz angekommen empfängt uns ein kleines Begrüßungskomitee und einem Spalier aus Kindern gegenüber. Gut 30 Schüler der Wushu Schule von 5 bis 14 stehen zu unserer Begrüßung und wir dürfen das klatschende Spalier durchschreiten. Es führt zum Tempel. Er dient der Gemeinde und ihrer Wushuschule zum Ausüben der Meihuaquan (gesprochen Meihuatjien) Religion. Es ist eine im 16. Jahrhundert erstmals erwähnte Religion die sich einer Mischung aus Daoismus, Budhismus und Konfuzianismus bedient. Wushu, die Kampfkunst, wird als Teil der Religionsausübung betrachtet und hat einen eigenen Stil entwickelt. Ursprünglich war sie in den Provinzen am Unterlauf des Gelben Fluss weit verbreitet. Quellen berichten von marodierenden Banden und Warlords im 19. Jahrhundert, die dann von verbündeten Dörfern und ihren Kämpfern bekämpft wurden. Auch in den unruhigen Zeiten der 30er und vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts hätten die Bauern sich gegen Guomintang, Japaner aber auch Maos Truppen zur Wehr gesetzt. Letzteres und die generelle Ablehnung der Religion durch die neuen sich kommunistisch nennenden Machthaber führte zum Verbot und Zerstörung sämtlicher Tempel. Die Religionsgemeinschaft war gezwungen, sich in der Illegalität am Leben zu erhalten. In den Neunzigern wurden dann die Restriktionen gelockert und vielerorts abhängig von den jeweilig regional Verantwortlichen die Religionsausübung wieder zugelassen. Allerdings dauerte es für das Dorf bis 2006 um eine Anerkennungsurkunde zu erhalten, die den bedeutenden Titel trägt Anerkennung von Meihuaquan als "Nichtkommerzielles kulturelles Erbe". Kurze Zeit später waren Tempel wieder aufgebaut und ein aktives nun offiziell erlaubtes Religionsleben der Meihuaquan im Dorf etabliert. Verglichen mit dem Dorf Gucheng und seinen Einwohnern von unglaublichen 6000, ist die Gemeinde eher klein und existiert friedlich gemeinsam mit Buddhisten und Christen. Das alles erfahren wir von Ray. Er gehört zum Begrüßungskomitee und ist als Anthropologe hier. Der liebenswerte Kanadier ist ein Verrückter, praktiziert selbst auch Wushu und lebt von Zeit zu Zeit in der Gemeinde um die Gebräuche dieser wieder auflebenden Kultur zu studieren. Sein Ziel ist die Doktorarbeit über Meihuoquan.
Die Gemeinevorsteher führen uns in den Tempel. Wir werden wie Ehrengäste behandelt.
Während die gesamte Wushuschule uns eine kleine Vorführung darbietet,
singen die Frauen der Gemeinde im Tempel. Bevor wir zum Abendessen eingeladen werden, ist es Wunsch unserer Gastgeber ein Gruppenfoto im Tempelhof zu machen. Es wird nicht das letzte dieser Art bleiben.
Nach dieser Stimmungsvollen Begrüßung fahren wir zum örtlichen Restaurant zwischen zwei benachbarten Dörfern gelegen. Es ist das wohl beeindruckeste Restaurant meines Lebens. Die Küche ist unglaublich dreckig, unser Gastraum, eine von zwei kleinen Kammern keine 2,5 Meter im Quadrat, schlicht völlig heruntergekommen.
Wenn das aber abstoßend klingen sollte, so war mein Eindruck aber kein abgestoßener. Es war mehr ein: "Das gibt es doch nicht.", "Das kann doch nicht wahr sein." und "Ich glaube nicht, dass ich das hier in gerade erlebe.
Dieses Erstaunen sollte mich die nächsten zwei Tage begleiten.
Das uns vorgesetzte Essen war schlicht lecker. Es ist spät und kalt geworden. Wegen der unangenehmen Erfahrungen mit Polizei und regionalen Regierungsaufpassern, die, aufmerksam geworden durch unsere Anwesenheit, in der Verfangenheit das Drehteam und die Protagonisten belagerten, entscheiden wir uns in einem Truckstopp zu übernachten, um den Aufmerksamkeitslichtkegel nicht auf uns zu lenken. In dem Raum, in dem Heiko, der Kameramann, Ray der Anthropologe und ich übernachten, stehen uns Atemwolken vor dem Gesicht, so kalt ist es. Für alle Gäste im Truckstopp gibt es einen Waschraum ohne Tür nach Draußen und ein Klo.
Die mitgenommenen Schlafsäcke sind ein Segen, obwohl sie für sich genommen kaum das Prädikat Schlafsack verdienen. Aber zwei der Steppdecken auf die Bretterpritsche und eine oben auf, lassen mich angezogen in voller Montur aber doch eine kurze aber geschlafene Nacht verbringen. In der Nacht muss ich unvorsichtiger weise meine Wollmütze abgenommen haben. Ich wache gegen 6.30 auf, kann nicht mehr schlafen, habe Kopfschmerzen und beginne diesen Bericht.
Ein Tag, den ich nicht vergessen werde, liegt vor uns.